Herzlich willkommen bei der Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung!

Wissen, worum es geht:

Wir sind das Kompetenzzentrum für die Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg.

Von Behörde zu Behörde:

Wir beraten und begleiten die öffentliche Hand, wenn es um Veränderungen geht.

Kostenlos, aber nicht umsonst:

Denn Bürgerbeteiligung stärkt die Demokratie und den Zusammenhalt.

 

Auf dieser Seite finden Sie nähere Informationen zu unserem Angebot.

Der Blog der Servicestelle

Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns sehr, dass Sie den Weg zum Blog der Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung des Landes Baden-Württemberg gefunden haben. Wir, die Mitarbeitenden der Servicestelle, berichten an dieser Stelle von unseren Projekten und erläutern wichtige Zusammenhänge rund um Bürgerbeteiligung. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen unseres Blogs!

Kontaktieren Sie uns gerne, falls Sie Fragen oder Anregungen haben. Und selbstverständlich besonders dann, wenn wir auch Ihnen helfen können, einen Beteiligungsprozess zu verwirklichen!

Die aufsuchende Bürgerbeteiligung - Blogbeitrag vom 02.09.2024

Wir bekommen immer wieder Fragen zur „aufsuchenden Bürgerbeteiligung“. Vereinfacht gesagt, klingeln hier Behördenmitarbeitende an der Haustür und fragen, ob der Bewohner bzw. die Bewohnerin an einem Bürgerforum teilnehmen möchte. Der Vorteil ist, dass im Gespräch politikfremde Menschen erreicht werden.

Wir weisen darauf hin, dass nach unserer Rechtsansicht diese Methode in Baden-Württemberg unzulässig ist. Das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung sieht eine Art „Recht auf unpolitisches Leben“ vor. Solche Anfragen müssen in Baden-Württemberg schriftlich erfolgen. Wichtig ist: Jede und jeder kann so eine Einladung ignorieren. Niemand muss eine Absage senden, geschweige denn begründen. 

Verzögert Bürgerbeteiligung Entscheidungen? Schafft sie gar Bürokratie? - Blogbeitrag vom 26.07.2024

Immer wieder hören wir den Einwand gegen Dialogische Bürgerbeteiligung, dass sie Entscheidungen verzögere. Zuletzt hieß es sogar, die Bürgerentschiede müssten weniger werden, sie seien Grund für Bürokratie.

Schauen wir uns das näher an. Zunächst müssen wir trennen zwischen den Begriffen, denn Bürgerentscheide und dialogische Bürgerbeteiligung sind nicht das Gleiche. Es sind sogar drei Kategorien zu unterscheiden: die Direkte Demokratie, die Öffentlichkeitsbeteiligung und die (Dialogische) Bürgerbeteiligung (dazu auch unsere FAQ).

  1. Die Direkte Demokratie ist eigentlich keine Beteiligung. Es ist vielmehr eine Entscheidung. Die Bürgerinnen und Bürger beenden in der Wahlkabine einen Streit, in dem es meistens zwei konkurrierende Alternativen gibt. Also z.B. Ja oder Nein zum neuen Gewerbegebiet oder einem neuen Rathausgebäude. Damit es zu solchen direktdemokratischen Abstimmungen kommen kann, müssen zunächst einige Hürden genommen werden. Wie zum Beispiel die Unterschriftensammlung oder die Prüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens. Diese sind klar gesetzlich geregelt. Das hat nichts mit Bürokratie zu tun. Zuletzt hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof – für die Direkte Demokratie auf Landesebene - sehr breit dargelegt, dass Volksgesetzgebung und Parlamentsgesetzgebung nebeneinander stehen.
  2. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Kern eine Anhörung. Sie ist Teil von Verwaltungsverfahren. In der Regel können sich in diesen Anhörungen nur Personen einbringen, die von der anstehenden Entscheidung betroffen sind (§§ 25 Abs. 3, 74 Abs. 3 LVwVfG ). Öffentlichkeitsbeteiligung lässt meist keinen Raum für Dialog. Die „Eingaben“ oder „Aussagen“ der Betroffenen werden gesammelt, zusammengefasst und dann im weiteren Verfahren berücksichtigt.
  3. Die Dialogische Bürgerbeteiligung verfolgt andere Ziele als die direkte Demokratie und die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie dient dazu, Bedürfnisse der Bevölkerung zu erkunden (§ 1 DBG). Es geht um den politischen Diskurs. Es werden Räume geschaffen, in denen unterschiedliche Argumente und Sichtweisen zu einem Thema in ihrer ganzen Tiefe ausgetauscht werden können. Immer mit dem Ziel, Empfehlungen für die besten Wege zu entwickeln. Dialogische Bürgerbeteiligung stärkt die repräsentative Demokratie. Sie hilft den Parlamenten, Gemeinderäten und Behörden, eine Entscheidung gut vorzubereiten. Mehr Beschleunigung ist nicht denkbar.

Mittlerweile ist übrigens auch wissenschaftlich gut nachgewiesen, dass Dialogische Bürgerbeteiligung durchaus beschleunigenden Charakter hat. Die Planung des Fehmarnbelt-Tunnels zwischen Deutschland und Dänemark gab der Wissenschaft die seltene Möglichkeit zum Vergleich (zuletzt dazu Julia Wolff in ZUR 2024, 220 [222). Während in Deutschland rund 16.000 (v.a. ablehnende) Einwendungen eingingen, waren es in Dänemark beim selben Projekt nur rund 40. Der Grund war schnell gefunden: In Dänemark wurde viel ernsthafter und mit einer anderen Haltung Bürgerbeteiligung durchgeführt.

Was ist eine Themenlandkarte? - Blogbeitrag vom 24.07.2024

Die Themenlandkarte ist die Tagesordnung der Bürgerbeteiligung. Sie definiert, über welche Themen gesprochen wird.

Die Themenlandkarte ist grafisch besonders gestaltet. Wir sammeln in Kästchen die wichtigsten Themen. Darunter hängen wir die passenden Unterthemen, die Details. Das hat sich als sehr nützlich erwiesen. Denn so ergibt sich ein Bild. Die Grafik zeigt auf einen Blick, wie vielschichtig ein Thema ist.

Wir haben das nicht erfunden. Dieser Ansatz ist in der Kommunilationswissenschaft der Standard. Auch die VDI-Richtlinien 7000 und 7001 arbeiten seit vielen Jahren damit.

Die Themenlandkarte ist damit optisch ein Symbol der Dialogischen Bürgerbeteiligung. Sie steht für die Pluralität. Dafür, dass es viele Interessen und Fakten abzuwägen gilt. Somit wird schon auf den ersten Blick der Gegensatz zur Direkten Demokratie deutlich . Bei der Direkten Demokratie stimmen die Bürgerinnen und Bürger an der Abstimmungsurne geheim ab. Sie machen ein Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“. Es geht also um Schwarz oder Weiß. Die Dialogische Bürgerbeteiligung dagegen ist differenzierter. Hier sind auch die Grautöne, die Zwischentöne relevant (zur Abgrenzung siehe auch hier: https://www.servicestelle-buergerbeteiligung.de/die-servicesstelle/faqs).

Die Themenlandkarte wird in der Regel partizipativ erstellt. Das heißt: Nicht eine Behörde oder die Servicestelle Bürgerbeteiligung setzt die Themen. Vielmehr fragen wir die Verbände und Interessenvertreter beim Beteiligungsscoping, was fehlt und was ergänzt werden sollen. Dasselbe machen wir bei der Online-Beteiligung (zum Ablauf siehe hier: https://www.servicestelle-buergerbeteiligung.de/faqs/faqs-zur-dialogischen-buergerbeteiligung). Dort sind dann alle Online-Teilnehmenden aufgerufen, die Themenlandkarte zu ergänzen. Die so mehrfach überarbeitete Themenlandkarte ist dann der Rahmen für die Bürgerbeteiligung. Das ist meistens ein Forum aus ausgelosten Teilnehmenden. Als Service für diese Teilnehmenden dient die Themenlandkarte. Natürlich können auch die Zufallsbürgerinnen und -bürger noch ergänzen. Aber es ist klar, dass nicht Behörden die Zufallsbürgerinnen und -bürger alleine aufschlauen. Nein, die Zufallsbürgerinnen und -bürger bekommen ein von vielen Menschen aufgezeichnetes Panorama der wichtigen Streitpunkte. So fällt nichts unter den Tisch. So kommt alles auf den Tisch.

Und das ist der Sinn der Dialogischen Bürgerbeteiligung. Sie soll die heiklen Streitpunkte bearbeiten. Ansonsten wäre der ganze Aufwand nicht sinnvoll.

Hier sehen wir wieder den Unterschied zur Direkten Demokratie. Direkte Demokratie soll entscheiden, abschließen. Die Dialogische Bürgerbeteiligung dient dazu, eine Entscheidung gut vorzubereiten.

Was ist Bürgerbeteiligung? - Blogbeitrag vom 16.07.2024

Es geht um Konsultation der Bürgerinnen und Bürger. Das betrifft die Vor- und Nachteile einer Entscheidung. Das ist etwas Anderes als Direkte Demokratie, in der Bürger nur zwischen ja oder nein bzw. den Alternativen A und B wählen dürfen. Sie wirken nicht mit an den Alternativen. Direkte Demokratie ist eine Abstimmung. Wie bei einem Wahlakt wird in der Kabine per Stimmzettel, sozusagen still und geheim, durch die Bürgerinnen und Bürger selbst entschieden. Es gibt nur ein Ja oder ein Nein, Schwarz oder Weiß – und wenn man sich die Kämpfe vor der Abstimmung und die Interpretationen danach ansieht muss man sagen: Es scheint manchmal auch um Gut oder Böse zu gehen.

Auch die sogenannte Öffentlichkeitsbeteiligung ist keine Bürgerbeteiligung. Die Öffentlichkeitsbeteiligung kennt nur eine Richtung: Der Staat (seine Behörden) hören die Bürgerinnen und Bürger an. Eine direkte Antwort gibt es nicht. Ein Dialog entsteht ebenfalls nicht. Da sind wir nun bei der Dialogischen Bürgerbeteiligung. Sie ist durch Rede und Gegenrede gekennzeichnet. Da das aber keine Massenveranstaltungen sein können, sind die Teilnehmendenzahlen beschränkt. Oft entscheidet bei diesen Formaten das Los. Ein Meilenstein war dafür 2021 das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung. Es hat den Begriff geprägt. Es hat die klare Abgrenzung zur Direkten Demokratie hergestellt. Es hat den Datenschutz gesichert. Es hat Begriffe und Verfahren definiert.

Im November 2023 nahm dann die SDB ihre Arbeit auf. Die Idee dafür keimte schon 2017 auf. Denn das Konzept des Bundesgesetzgebers, wonach der Vorhabenträger doch bitte selbst die sogenannte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung machen soll, lief ins Leere. Als Reaktion auf Stuttgart 21 wurde das Allgemeine Verwaltungsrecht 2013 reformiert. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung war geboren. Nur: Das sollte der Vorhabenträger, der Bauherr des streitigen Projekts, selbst machen. Das hatte natürlich auch finanzielle Gründe. Der Staat wollte den großen Unternehmen nicht die Akzeptanz beschaffen, schon gar nicht steuerfinanziert. Doch schnell stellte sich heraus, dass der Staat selbst der Vorhabenträger für die umstrittensten Projekte ist: Hochwasserdämme, Verkehrswege, Flüchtlingsunterkünfte, Gefängnisse und psychiatrische Anstalten oder Kulturbauten. Sprich: Der Staat selbst war verpflichtet, sich um die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zu kümmern. Davon ausgehend zeigte sich, dass gerade kleine Kommunen damit überfordert waren. Das betraf u.a. die Ausschreibung für private Dienstleister, z.B. Moderatorenteams. Auch hier war Baden-Württemberg wieder der Spitzenreiter. Die SDB wurde als sogenannte Anstalt gegründet. Sie hat die Aufgabe, anderen öffentlichen Stellen die Arbeit abzunehmen. Sie entlastet passgenau die öffentliche Hand. Das ist gelebter Bürokratieabbau.

Und so ist die SDB ein Handwerker im Maschinenraum der Demokratie. Wir machen die Arbeit. Und tragen die Verantwortung für die Dialogische Bürgerbeteiligung vor Ort. Auch das ist wichtig. Denn der Streit um die Sache schwappt immer aufs Verfahren über. Da ist es sinnvoll, wenn die SDB dafür den Kopf hinhält.

Kommen wir zurück zur Dialogische Bürgerbeteiligung. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis findet sich in § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Dialogische Bürgerbeteiligung. Für ein nüchternes Gesetz ganz untypisch ist dort von Bedürfnissen der Bevölkerung die Rede. Hier wird deutlich, worauf zu achten ist: Der Unterschied zwischen Bedürfnis und Position. Die politischen Debatten kreisen alle um Positionen. Das ist verständlich, denn Parteien wollen unterscheidbar sein. Ein unverwechselbares Profil haben. „Kante zeigen.“ Das betrifft die Bundes- wie die Lokalpolitik. Dabei bleiben die versteckten Motive, die hidden agendas, aber oft auf der Strecke. Was sind nun diese „hidden agendas“? Sie betreffen genau die wahren Bedürfnisse der Menschen. Diese Bedürfnisse sind oft ganz anders als das, was öffentlich verhandelt wird. Wer wagt es denn, gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft, eine Renaturierung oder ein Gewerbegebiet nur mit der Sorge um den Wert des eigenen Grundstücks zu argumentieren? Da kommen dann schnell die vorgeschobenen Argumente. Meistens ist das der Naturschutz. Aus einem einfachen, juristischen Grund. Der Naturschutz hat europarechtlich eine besondere rechtliche Konstruktion. Er eignet sich also hervorragend, um mit moralisch akzeptierten Gründen zu arbeiten.

Wenn aber über Fisch- oder Käferartern debattiert wird, bleiben die echten Bedürfnisse häufig zurück. Der Kern eines Streits wird nicht erörtert. Das führt dazu, dass Projekte sich verzögern oder einfach liegen bleiben.

Wie findet man das „Bedürfnis“? Ein Schlüssel dafür ist die Kenntnis der verschiedenen Konflikttypen. Schaut man sich diese Konflikttypen an, wird schnell klar, um was es im konkreten Streitfall denn geht. Da gibt es z.B. den Prognosekonflikt. Wenn ein neues Wohngebiet gebaut werden soll, entbrennt schnell der Streit über die wahre Nachfrage. Da gibt es dann auf einmal keinerlei Bedarf für neue Wohnungen mehr, wenn man den Gegnern eines neuen Wohngebiets folgt. Das lässt sich mit Gutachten noch halbwegs klären. Etwas schwieriger wird es beim Mittelkonflikt. Hier sind sich die Streitparteien im Ziel einig, z.B. „mehr Klimaschutz“. Es ist aber umstritten, mit welchen Mitteln das Ziel am besten zu erreichen ist. Atomkraft? Windräder? Photovoltaik? Ähnlich ist es bei einem sehr wichtigen Konflikt, dem Zielkonflikt. Naturschutz oder Klimaschutz? Schutz des Käfers vor Ort oder klimafreundliche Energiegewinnung? Auch Batteriezellfabriken verkörpern einen modernen Zielkonflikt. Soll man die Energiewende selbst anpacken. Oder ist der Erhalt der grünen Wiesen wichtiger? Auch klassische Machtkonflikte spielen eine Rolle. Bekanntestes Beispiel sind die städtebaulichen Verträge. Hier gibt es einen Konflikt der Einwohner versus Bürgermeister. Mit Hilfe der städtebaulichen Verträge werden z.B. neue Einkaufszentren oder Stadthallen geplant und finanziert. Wie es bei Verträgen üblich ist, geschieht das zunächst hinter verschlossenen Türen. Das Stadtoberhaupt verhandelt mit dem Investor. Mag ein Projekt auch noch so sinnvoll sein - in solchen Fällen von Intransparenz mucken die Einwohner regelmäßig auf. Der härteste Konflikt ist der Verteilungskonflikt. Er wird oft nicht als solcher wahrgenommen - oder er wird bewusst kaschiert. Denn hier geht es um Gerechtigkeit und Lastenverteilung. Ein klassisches Beispiel ist der Verkehr. Wer trägt die Lasten, wer bekommt den Nutzen? Beispiel Parkplätze: Werden sie zurückgebaut, damit die Stadt „mehr grüne Oasen gegen die Hitze“ bekommt. Oder bleiben sie erhalten, damit „der lokale Einzelhandel profitiert“?

Es ist elementar, diese Konflikte, so versteckt und „verdruckst“ sie auch sein mögen, offen zu legen. Sie zu bearbeiten. Bleibt man nur bei einer Debatte um Positionen, wagt die Politik oft nicht zu entscheiden. Gerade Kommunalparlamente scheuen eine Entscheidung, wenn sich die Positionen gegenüberstehen. Man spricht dann gerne von „fehlender Entscheidungsreife“. Insofern wirkt die Dialogische Bürgerbeteiligung extrem beschleunigend auf politische Diskurse. Vor allem aber stärkt sie die repräsentative Demokratie, also die Parlamente und Behörden.

Kurz: Die Dialogische Bürgerbeteiligung wirkt am besten, wenn es um sehr streitige und konkrete Themen geht. Dr. Wolfgang Schäuble, der frühere Bundestagspräsident, hat das in seinen Memoiren sehr markant herausgearbeitet. Er forderte von den Fraktionen, die heiklen Themen mit Bürgerräten zu debattieren. Weltweit gibt es dafür Vorbilder: Die Sterbehilfe in Frankreich oder Homo-Ehe und Abtreibung in Irland.

Die Dialogische Bürgerbeteiligung hilft also den Entscheidungsträgern. Sie wissen dank der Dialogischen Bürgerbeteiligung, wo die stille Mitte steht. Wo die Konfliktlinien wirklich verlaufen. Das hilft, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Auch gegen laute Stimmen. Oder wie die Akademie für Technikfolgenabschätzung schrieb: Auch bei überproportionaler Wirkung einzelner Gruppen.

Für die Demokratie, gerade für die repräsentative Demokratie, ist die Dialogische Bürgerbeteiligung daher essenziell. Die SDB hat sich dafür den „Blaumann“ angezogen. Sie ölt im Maschinenraum der Demokratie die Zahnräder, die laufen müssen. Damit die Demokratie rund läuft.

Nichts als Zufall? Ganz genau! - Blogbeitrag vom 07.06.2024

Wenn wir über Demokratie sprechen, dann denken die meisten erst einmal ans Wählen. Klar, denn Wählen ist auch der demokratische Akt, den jede und jeder immer wieder erleben kann. Außerdem spielt Wählen natürlich auch die entscheidende Rolle in einer repräsentativen Demokratie wie der unseren.

Allerdings gibt es noch ein weiteres, viel weniger beachtetes demokratisches Prinzip: den Zufall! Tatsächlich spiegelt das Losprinzip die demokratische Idee in ihrer Reinform. Nicht umsonst hat es in der Geschichte der Demokratie immer wieder eine große Rolle gespielt. So auch in der ersten bekannten Demokratie der Welt: Der Polis des Stadtstaats Athen im antiken Griechenland des 4. und 5. Jhd. vor Christus. Dort erfolgte z.B. die Besetzung der Volksgerichte oder des Rats der 500 per Los. Letzterer war für die Vorbereitung politischer Entscheidungen zuständig und die gelosten Mitglieder waren jeweils für ein Jahr bestellt, bevor wieder neue Ratsmitglieder ausgelost wurden.

Vor dem Los sind alle gleich. Ganz egal, welcher gesellschaftlichen Gruppe man sich zugehörig fühlt, wie alt, gebildet, wie vermögend oder eloquent man ist. Jede und jeder hat die gleiche Chance. Natürlich war das damals in Griechenland aus heutiger Sicht nicht ganz so perfekt: Denn für die Losauswahl kamen dort nur Männer mit Bürgerrechten infrage – und damit nur die überschaubare und insgesamt wohl eher homogene Elite der dortigen Gesellschaft. Das schmälert das urdemokratische Potenzial des Losens aber nicht. Denn der Zufall ist der große Gleichmacher. Dennoch spielt das Los in modernen Demokratien kaum eine Rolle. Nur bei der Auswahl von Geschworenen oder Schöffinnen und Schöffen im Bereich der Rechtsprechung hat es heute noch als Institution einen festen Platz.

Bürgerforen und Co. – der Zufall macht den Unterschied

Allerdings erlebt der Zufall seit einigen Jahren eine demokratische Renaissance. Bei der dialogischen Bürgerbeteiligung ist er sogar zu einer Art Goldstandard avanciert. Die vielbeachteten Bürgerräte oder Bürgerforen, die im Kern aus Gruppen von zufällig ausgewählten Menschen bestehen, funktionieren überhaupt erst auf Grund des Zufallsprinzips. Denn die Tatsache, dass es das Los ist, das entscheidet, wer in einer solchen Gruppe mitarbeiten darf, schafft ganz besondere Voraussetzungen:

  • Erstens kann es vielfältige Gruppen hervorbringen, die deutlich breiter zusammengesetzt sind als die meisten gewählten Gremien.
  • Zweitens ermöglicht das Losen, dass sich niemand als Fürsprecher oder Vertreter einer Position, Partei oder irgendeiner abgrenzbaren Gruppe verstehen soll oder muss. Im Gegenteil: All das spielt keine Rolle. Was wiederum die Offenheit für einen konstruktiven Austausch und die gemeinsame Abwägung von Argumenten rund um ein Thema oder eine Fragestellung schafft.
  • Drittens haben ausgeloste Personen mehrheitlich keine final feststehenden Meinungen oder Sichtweisen zum Thema. Sondern nur ihre individuelle Sicht, die von ihrer jeweiligen Lebensrealität ausgeht. Genauso, wie es für den großen Teil der Bevölkerung der Fall ist.

Diese besonderen Voraussetzungen ermöglichen, dass in der Gruppe ein verständigungsorientierter Austausch stattfinden kann. In der Fachwelt wird dieser gerne als Deliberation bezeichnet. Damit soll die besondere Qualität des Gesprächs zum Ausdruck kommen, die sich grundlegend von Diskussionen, Verhandlungen oder gar Parlamentsdebatten unterscheidet. Deliberation bedeutet, dass die Gruppe gemeinsam die Stichhaltigkeit von Argumenten abwägt, die ihnen von eingeladenen Interessengruppen, Expertinnen und Experten oder Betroffenen zu einem Thema vorgetragen werden. Natürlich sind neben dem Los noch viele weitere Elemente notwendig, um diese besondere deliberative Qualität in einem Zufallsgremium Wirklichkeit werden zu lassen. Zum Beispiel eine unabhängige und methodisch versierte Moderation und natürlich einen klare Auftrag etwa von einem Gemeinde- oder Stadtrat.

Das Los in der Praxis - die kriterienbasierte Zufallsauswahl

Die aufgezählten Punkte sind beeindruckende Vorteile, die nur der Zufall in demokratischen Prozessen entfalten kann. Aber es ist wichtig zu betonen, dass in der Praxis trotzdem nicht mit dem reinen Zufall hantiert wird. Stattdessen kommt die kriterienbasierte Zufallsauswahl zum Einsatz. Das liegt allerdings überhaupt nicht am Zufall selbst, sondern an der Tatsache, dass die Teilnahme an einem Zufallsgremium freiwillig ist. Das bedeutet, dass Personen, die per Los ausgewählt werden, sich natürlich auch dagegen entscheiden können, ihr Losglück anzunehmen. Insgesamt macht das meistens sogar die große Mehrheit der Ausgelosten. Bei Bürgerforen in Baden-Württemberg liegt der Rücklauf normalerweise bei 3-7%.

Das wäre nicht problematisch, wenn alle Menschen mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu- oder absagen würden. Das tun sie allerdings nicht. Vielmehr ist es erwiesenermaßen so, dass manche Personengruppen eher absagen als andere. Würde man das nicht berücksichtigen, wären die meisten Losgremien mit pensionierten Herren oder engagierten Studenten besetzt. Vollzeit-Berufstätige, Eltern, Menschen ohne Hochschulabschluss, Jugendliche oder Kinder wären dagegen nur selten dabei. Wie gesagt: Nicht wegen des Zufalls, sondern wegen der Freiwilligkeit der Teilnahme.

Glücklicherweise können wir dieser Verzerrung mit der kriterienbasierten Zufallsauswahl sehr gut begegnen. Man muss das so verstehen, dass für den Prozess der Zufallsauswahl Regeln festgelegt werden. Vergleichbar ist das mit der Entscheidung zwischen einem Münzwurf oder einem Würfel. Beide funktionieren nach dem Zufallsprinzip. Allerdings mit unterschiedlichen Regeln: Kopf oder Zahl bzw. die Möglichkeiten eine Zahl zwischen Eins und Sechs zu würfeln. Auf die kriterienbasierte Zufallsauswahl übertragen bedeutet das, dass die angestrebte Vielfalt des Losgremiums als Rahmen für die Auslosung vorab festgelegt wird. Um es nochmals klar zu sagen: Es entscheidet immer das Los. Wir bilden aber verschiedene Lostöpfe. Dieses Vorgehen ist in Baden-Württemberg sogar gesetzlich geregelt. Das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung (DBG) schreibt es vor. Die Lostöpfe können aus Kombinationen der Kriterien Alter, Wohnort, Geburtsort und Geschlecht entstehen. Die Einwohnermelderegister bieten diese Informationen zu allen Einwohnerinnen und Winwohnern. Das macht es besonders leicht, sie bei der kriterienbasierten Zufallauswahl zu berücksichtigen. Denn es ist natürlich wünschenswert, dass ein Losgremium z.B. jeweils zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht. Oder dass Personen aus allen Altersklassen dabei sind. Es werden deshalb mithilfe dieser Kriterien immer von vorneweg gleich viele Frauen und Männer, Ältere und Jüngere angeschrieben. Wegen der Problematik mit der Freiwilligkeit erhalten allerdings sehr viel mehr Personen eine Einladung, als tatsächlich Plätze im Losgremium verfügbar sind. Wenn sich die Eingeladenen anschließend nach und nach zurückmelden, werden die vorher festgelegten Kriterien wieder beachtet: Hierfür kommen unsere Lostöpfe wieder zum Einsatz.

Das Verfahren kann noch weiter verfeinert werden, indem mit der Rückmeldung der Eingeladenen noch weitere Merkmale abgefragt werden. Zum Beispiel zum höchsten Bildungsabschluss, dem Erwerbstätigkeitsstatus, der Haushaltsgröße in der die Menschen leben oder zum Migrationshintergrund. Diese Merkmale können dann bei der Sortierung der Rückmeldungen auf die Lostöpfe ebenfalls berücksichtigt werden. Allerdings nicht in beliebiger Zahl, weil jedes weitere Kriterium das Losen schwieriger macht. Gerade wenn nur relativ kleine Losgremien zusammengestellt werden sollen. Dennoch erlaubt und regelt das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung die Nutzung dieser zusätzlichen Kriterien. Denn insbesondere die Frage nach dem Bildungsabschluss hat sich als wichtig erwiesen um Verzerrungen auszugleichen, die sich aus der Freiwilligkeit der Teilnahme ansonsten oft ergeben. Denn es melden sich eher Menschen mit Abitur zurück.

Zu guter Letzt entscheidet dann ein zweites Mal das Los, wer aus den einzelnen Lostöpfen tatsächlich einen Platz im Gremium erhält. Mit diesem Verfahren einer zweistufigen kriterienbasierten Zufallsauswahl stellen wir für Bürgerforen in Baden-Württemberg sicher, dass das erwünschte Ziel des Zufalls erreicht wird: Die Zusammenstellung einer möglichst vielfältigen Gruppe.

Die Servicestelle Bürgerbeteiligung hilft beim Losen

Es gehört zu den Kernaufgaben der Servicestelle Bürgerbeteiligung, die Zufallsauswahl in jedem Einzelfall zu koordinieren. Egal, ob ein Zufallsgremium in einer Stadt, einer Gemeinde, für eine Landesbehörde oder ein staatliches Unternehmen gebraucht wird. Wir ermöglichen die Umsetzung der Zufallsauswahl. Eine Herausforderung sind dabei vor allem die Fälle, in denen es sich nicht um eine Kommune handelt. Denn auf die Einwohnermelderegister, die für die Zufallsauswahl genutzt werden, kann nur über die Kommunen selbst zugegriffen werden. Im Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung ist in Baden-Württemberg allerdings klar geregelt, wann die Kommunen Daten aus den Melderegistern zum Zweck der Bürgerbeteiligung zugänglich machen müssen. Das Gesetz ermöglicht es damit auch Bürgerforen auf Landesebene oder für eine Region wie z.B. einen Landkreis oder einen Regionalverband umzusetzen. Aktuelle Beispiele aus unserer Arbeit dazu sind die Bürgerforen zu G8/G9; den Ostalb-Kliniken; oder für die Suche nach einem neuen Deponiestandort des Verband Region Stuttgart.

Sie haben noch Fragen zur Zufallsauswahl bei Bürgerforen? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Wer wir sind und warum es uns braucht - Blogbeitrag vom 23.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, Ihnen heute uns und unseren Blog vorzustellen. Unser Team besteht derzeit aus vier Personen, geleitet von Ulrich Arndt. Hier finden Sie unsere Kontaktdaten und weitere Informationen zu uns. Wir, die Mitarbeitenden der Servicestelle, werden in diesem Blog von unseren Projekten berichten und wichtige Zusammenhänge rund um Bürgerbeteiligung erläutern.

Unsere Aufgabe ist es, die Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg auszubauen und die Demokratie und die Veränderungen im Land gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Behörden und den Parlamenten zu stemmen. Die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung erleichtert es Städten und Gemeinden, Behörden und anderen öffentlichen Vorhabenträgern mit Sitz in Baden-Württemberg, dialogische Bürgerbeteiligung vor Ort zu nutzen. Dazu vereint die Servicestelle zwei Unterstützungsleistungen unter einem Dach: Einerseits praktisches Know-How und Beratungskompetenz rund um Beteiligungsprozesse. Dieses Wissen stellen wir öffentlichen Vorhabenträgern kostenlos zur Verfügung. Und andererseits verfügen wir über Rahmenverträge mit Dienstleistern, die Vorhabenträger für Ihre Beteiligungsprozesse beauftragen können .

Beides hilft, damit gut gemachte und wirksame Beteiligungsprozesse öfter und schneller in die Umsetzung kommt. Erfahren Sie hier mehr über die Kommunen und Behörden, die bereits mit uns zusammenarbeiten.

Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

 

Das Team der Servicestelle