Es geht um Konsultation der Bürgerinnen und Bürger. Das betrifft die Vor- und Nachteile einer Entscheidung. Das ist etwas Anderes als Direkte Demokratie, in der Bürger nur zwischen ja oder nein bzw. den Alternativen A und B wählen dürfen. Sie wirken nicht mit an den Alternativen. Direkte Demokratie ist eine Abstimmung. Wie bei einem Wahlakt wird in der Kabine per Stimmzettel, sozusagen still und geheim, durch die Bürgerinnen und Bürger selbst entschieden. Es gibt nur ein Ja oder ein Nein, Schwarz oder Weiß – und wenn man sich die Kämpfe vor der Abstimmung und die Interpretationen danach ansieht muss man sagen: Es scheint manchmal auch um Gut oder Böse zu gehen.
Auch die sogenannte Öffentlichkeitsbeteiligung ist keine Bürgerbeteiligung. Die Öffentlichkeitsbeteiligung kennt nur eine Richtung: Der Staat (seine Behörden) hören die Bürgerinnen und Bürger an. Eine direkte Antwort gibt es nicht. Ein Dialog entsteht ebenfalls nicht. Da sind wir nun bei der Dialogischen Bürgerbeteiligung. Sie ist durch Rede und Gegenrede gekennzeichnet. Da das aber keine Massenveranstaltungen sein können, sind die Teilnehmendenzahlen beschränkt. Oft entscheidet bei diesen Formaten das Los. Ein Meilenstein war dafür 2021 das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung. Es hat den Begriff geprägt. Es hat die klare Abgrenzung zur Direkten Demokratie hergestellt. Es hat den Datenschutz gesichert. Es hat Begriffe und Verfahren definiert.
Im November 2023 nahm die SDB dann ihre Arbeit auf. Die Idee dafür keimte schon 2017 auf. Denn das Konzept des Bundesgesetzgebers, wonach der Vorhabenträger doch bitte selbst die sogenannte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung machen soll, lief ins Leere. Als Reaktion auf Stuttgart 21 wurde das Allgemeine Verwaltungsrecht 2013 reformiert. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung war geboren. Nur: Das sollte der Vorhabenträger, der Bauherr des streitigen Projekts, selbst machen. Das hatte natürlich auch finanzielle Gründe. Der Staat wollte den großen Unternehmen nicht die Akzeptanz beschaffen, schon gar nicht steuerfinanziert. Doch schnell stellte sich heraus, dass der Staat selbst der Vorhabenträger für die umstrittensten Projekte ist: Hochwasserdämme, Verkehrswege, Flüchtlingsunterkünfte, Gefängnisse und psychiatrische Anstalten oder Kulturbauten. Sprich: Der Staat selbst war verpflichtet, sich um die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zu kümmern. Davon ausgehend zeigte sich, dass gerade kleine Kommunen damit überfordert waren. Das betraf u.a. die Ausschreibung für private Dienstleister, z.B. Moderatorenteams. Auch hier war Baden-Württemberg wieder der Spitzenreiter. Die SDB wurde als sogenannte Anstalt gegründet. Sie hat die Aufgabe, anderen öffentlichen Stellen die Arbeit abzunehmen. Sie entlastet passgenau die öffentliche Hand. Das ist gelebter Bürokratieabbau.
Und so ist die SDB ein Handwerker im Maschinenraum der Demokratie. Wir machen die Arbeit. Und tragen die Verantwortung für die Dialogische Bürgerbeteiligung vor Ort. Auch das ist wichtig. Denn der Streit um die Sache schwappt immer aufs Verfahren über. Da ist es sinnvoll, wenn die SDB dafür den Kopf hinhält.
Kommen wir zurück zur Dialogische Bürgerbeteiligung. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis findet sich in § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Dialogische Bürgerbeteiligung. Für ein nüchternes Gesetz ganz untypisch ist dort von Bedürfnissen der Bevölkerung die Rede. Hier wird deutlich, worauf zu achten ist: Der Unterschied zwischen Bedürfnis und Position. Die politischen Debatten kreisen alle um Positionen. Das ist verständlich, denn Parteien wollen unterscheidbar sein. Ein unverwechselbares Profil haben. „Kante zeigen.“ Das betrifft die Bundes- wie die Lokalpolitik. Dabei bleiben die versteckten Motive, die hidden agendas, aber oft auf der Strecke. Was sind nun diese „hidden agendas“? Sie betreffen genau die wahren Bedürfnisse der Menschen. Diese Bedürfnisse sind oft ganz anders als das, was öffentlich verhandelt wird. Wer wagt es denn, gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft, eine Renaturierung oder ein Gewerbegebiet nur mit der Sorge um den Wert des eigenen Grundstücks zu argumentieren? Da kommen dann schnell die vorgeschobenen Argumente. Meistens ist das der Naturschutz. Aus einem einfachen, juristischen Grund. Der Naturschutz hat europarechtlich eine besondere rechtliche Konstruktion. Er eignet sich also hervorragend, um mit moralisch akzeptierten Gründen zu arbeiten.
Wenn aber über Fisch- oder Käferartern debattiert wird, bleiben die echten Bedürfnisse häufig zurück. Der Kern eines Streits wird nicht erörtert. Das führt dazu, dass Projekte sich verzögern oder einfach liegen bleiben.
Wie findet man das „Bedürfnis“? Ein Schlüssel dafür ist die Kenntnis der verschiedenen Konflikttypen. Schaut man sich diese Konflikttypen an, wird schnell klar, um was es im konkreten Streitfall denn geht. Da gibt es z.B. den Prognosekonflikt. Wenn ein neues Wohngebiet gebaut werden soll, entbrennt schnell der Streit über die wahre Nachfrage. Da gibt es dann auf einmal keinerlei Bedarf für neue Wohnungen mehr, wenn man den Gegnern eines neuen Wohngebiets folgt. Das lässt sich mit Gutachten noch halbwegs klären. Etwas schwieriger wird es beim Mittelkonflikt. Hier sind sich die Streitparteien im Ziel einig, z.B. „mehr Klimaschutz“. Es ist aber umstritten, mit welchen Mitteln das Ziel am besten zu erreichen ist. Atomkraft? Windräder? Photovoltaik? Ähnlich ist es bei einem sehr wichtigen Konflikt, dem Zielkonflikt. Naturschutz oder Klimaschutz? Schutz des Käfers vor Ort oder klimafreundliche Energiegewinnung? Auch Batteriezellfabriken verkörpern einen modernen Zielkonflikt. Soll man die Energiewende selbst anpacken. Oder ist der Erhalt der grünen Wiesen wichtiger? Auch klassische Machtkonflikte spielen eine Rolle. Bekanntestes Beispiel sind die städtebaulichen Verträge. Hier gibt es einen Konflikt der Einwohner versus Bürgermeister. Mit Hilfe der städtebaulichen Verträge werden z.B. neue Einkaufszentren oder Stadthallen geplant und finanziert. Wie es bei Verträgen üblich ist, geschieht das zunächst hinter verschlossenen Türen. Das Stadtoberhaupt verhandelt mit dem Investor. Mag ein Projekt auch noch so sinnvoll sein - in solchen Fällen von Intransparenz mucken die Einwohner regelmäßig auf. Der härteste Konflikt ist der Verteilungskonflikt. Er wird oft nicht als solcher wahrgenommen - oder er wird bewusst kaschiert. Denn hier geht es um Gerechtigkeit und Lastenverteilung. Ein klassisches Beispiel ist der Verkehr. Wer trägt die Lasten, wer bekommt den Nutzen? Beispiel Parkplätze: Werden sie zurückgebaut, damit die Stadt „mehr grüne Oasen gegen die Hitze“ bekommt. Oder bleiben sie erhalten, damit „der lokale Einzelhandel profitiert“?
Es ist elementar, diese Konflikte, so versteckt und „verdruckst“ sie auch sein mögen, offen zu legen. Sie zu bearbeiten. Bleibt man nur bei einer Debatte um Positionen, wagt die Politik oft nicht zu entscheiden. Gerade Kommunalparlamente scheuen eine Entscheidung, wenn sich die Positionen gegenüberstehen. Man spricht dann gerne von „fehlender Entscheidungsreife“. Insofern wirkt die Dialogische Bürgerbeteiligung extrem beschleunigend auf politische Diskurse. Vor allem aber stärkt sie die repräsentative Demokratie, also die Parlamente und Behörden.
Kurz: Die Dialogische Bürgerbeteiligung wirkt am besten, wenn es um sehr streitige und konkrete Themen geht. Dr. Wolfgang Schäuble, der frühere Bundestagspräsident, hat das in seinen Memoiren sehr markant herausgearbeitet. Er forderte von den Fraktionen, die heiklen Themen mit Bürgerräten zu debattieren. Weltweit gibt es dafür Vorbilder: Die Sterbehilfe in Frankreich oder Homo-Ehe und Abtreibung in Irland.
Die Dialogische Bürgerbeteiligung hilft also den Entscheidungsträgern. Sie wissen dank der Dialogischen Bürgerbeteiligung, wo die stille Mitte steht. Wo die Konfliktlinien wirklich verlaufen. Das hilft, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Auch gegen laute Stimmen. Oder wie die Akademie für Technikfolgenabschätzung schrieb: Auch bei überproportionaler Wirkung einzelner Gruppen.
Für die Demokratie, gerade für die repräsentative Demokratie, ist die Dialogische Bürgerbeteiligung daher essenziell. Die SDB hat sich dafür den „Blaumann“ angezogen. Sie ölt im Maschinenraum der Demokratie die Zahnräder, die laufen müssen. Damit die Demokratie rund läuft.