Die Geschichte der Servicestelle

Hier geben wir einen kurzen Abriss über die Geschichte der SDB: Wie kam es zu ihrer Gründung? Welche Ereignisse waren dabei maßgeblich?

Der Urahn der SDB

Die SDB ist letztlich keine ganz neue Erfindung. Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) initiierte die Akademie für Technikfolgenabschätzung (AfTA). Sie bestand von 1992-2003. Das war eine Reaktion auf den Atomunfall in Tschernobyl. SDB und AfTA haben verblüffende Gemeinsamkeiten. Beide kümmern sich im Kern um die Frage, wie die Gesellschaft mit Veränderungen umgeht.

Einen kleinen Einblick in die Arbeit der AfTA gibt der Risikosurvey Baden-Württemberg aus dem Jahr 2001. Dort steht u.a. auf S. 12:

„Daß im Kontrast dazu das Mobilfunkrisiko nur vergleichsweise geringe Besorgnisse auszulösen vermag, (…) wenig überraschend.

Eher schon das Niveau des Antwortverhaltens. Nur 3.5% fürchten sich vor der Handystrahlung und beinahe drei Viertel halten dieses Risiko für unproblematisch. Hier suggeriert das Medienecho auf Bürgerinitiativen gegen Mobilfunksendeanlagen freilich andere Proportionen - offenkundig haben wir es hier mit einem Beispiel dafür zu tun, daß eine kleine Gruppe von Personen, die ein Thema stark zu mobilisieren und politisieren versteht, eine ihrer tatsächlichen Größe entsprechend weit überproportionale Wirkung entfalten kann. Ähnlich dem Mobilfunk haben wir es auch beim Rauchen mit einem ›Allerweltsrisiko‹ zu tun, bei dem der Einzelne - durch Kauf- und Genußentscheidungen - ein hohes Maß an Autonomie und Kontrolle über Genuß und Risiken besitzt und das Risiko - das zudem nur einen Teil der Bevölkerung direkt betrifft - deshalb eher gering einschätzt.

Für die Zusammenfassung der wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen Risikomerkmale am Ende des Kapitels kann festgehalten werden, daß Rauchen und das Mobilfunkrisiko besonders gering und das Risiko des globalen Klimawandels vergleichsweise bedrohlich wahrgenommen werden, ….“

Es ist bemerkenswert, wie weitsichtig Lothar Späth mit der Gründung dieser Akademie war.

Stuttgart 21

Die Bürgerbeteiligung wurde bundesweit, ja europaweit, durch die Massenproteste gegen den Bahnhofsneubau „Stuttgart 21“, neu erfunden. Alle waren sich einig: So kann es nicht weitergehen. Bei Stuttgart 21 wurde die sogenannte Öffentlichkeitsbeteiligung sauber eingehalten. Gleichwohl kam es zu solchen Protesten – die mit dem Einsatz von Wasserwerfern am 30. September 2010, dem sogenannten Schwarzen Donnerstag, in die Geschichte von Baden-Württemberg eingingen.

Die Erschütterung in Baden-Württemberg war damals so stark, dass nach rund 50 Jahren erstmals der Ministerpräsident nicht mehr von der CDU gestellt wurde. Nach den Landtagswahlen 2011 wurde Winfried Kretschmann der weltweit erste Grüne Regierungschef. Für ein im Kern so konservatives Land wie Baden-Württemberg war das eine Sensation, sagt die Politikwissenschaft.

Winfried Kretschmann hatte vor seiner Wahl für eine Politik des Gehörtwerdens geworben. Er berief eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung. Das ist eine Art ehrenamtliche Ministerin mit besonderem Auftrag. Der Koalitionsvertrag sah dann auch mehr Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung vor. Das ist bemerkenswert. Denn diese zutreffende Differenzierung war damals noch weitgehend unbekannt. Die meisten Menschen setzten Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie gleich.

Das spürte die damalige Staaträtin Gisela Erler. Sie arbeitete 2012 erstmals mit sogenannten Zufallsbürgern. Vorbild waren die Bürgerräte in Vorarlberg. Es ging 2012 um die Folgen von Stuttgart 21 für den Flughafenbahnhof. Diese Methode wurde massiv attackiert, weil die Bürgerinnen und Bürger nur beraten sollten. Dennoch funktionierte der neue Ansatz: Er ermöglichte, dass neben der üblichen Stakeholder-Beteiligung nun auch der Blickwinkel der Bevölkerung für die Politik sichtbar wurde.

Weltweit setzte mit der Citizens‘ Assembly – mit zufällig ausgesuchten Teilnehmenden - in Irland 2015 und dem Brexit um 2016 ein breiter Bewusstseinswandel ein. Die Direkte Demokratie verlor ihren Reiz. Auch das leuchtende Vorbild Schweiz leuchtete schon lange nicht mehr so hell, nachdem die sogenannte Ausschaffungsinitiative 2010 eine knappe Mehrheit erhalten hatte. In Deutschland wurde deshalb über die verfassungsrechtlichen Grenzen der direkten Demokratie debattiert.

Wandel der Debattenkultur

Noch viel einschneidender war aber der eher schleichende, nicht sofort erkennbare Wandel der Debattenkultur. Man mag vielleicht die Präsidentschaft von Donald Trump ab 2017 als historische Jahreszahl dafür heranziehen. Tatsächlich aber hat das Internet den öffentlichen Raum komplett verändert. Soziale Netzwerke führen dazu, dass Minderheiten sehr schnell sehr laut und sehr stark wahrgenommen werden. Kampagnen sind rasch organisiert. Protest findet nicht mehr vorranging auf den Straßen statt. Denn auch die etablierten Medien sind von diesen Änderungen massiv erfasst worden. Unter dem Fachbegriff „False Balance“ wurde das bekannt: Die etablierten Medien stehen selbst unter dem Druck, durch das Internet verlorene Auflage über Online-Artikel wettzumachen. Online herrscht aber die Aufmerksamkeitsökonomie. Klickzahlen zählen. Das verstärkte der Anreiz, Streit noch mehr zuzuspitzen. Das öffentliche Klima wurde gefühlt immer erhitzter. Selbst in kleinsten Dörfern ist das zu spüren. Die von der Acatech schon Anfang der 2000er geschilderte „überproportionale Wirkung“ der kleinen, aber lauten Initiativen wurde mit dem Internet noch stärker.

Die Arbeiten der damaligen Staatsrätin Gisela Erler und ihrer Nachfolgerin Barbara Bosch machten deutlich, wie sehr sich die Prioritäten verschoben haben. Früher war die Bürgerbeteiligung ein Instrument, um Minderheiten eine Stimme zu geben. Heute ist die Bürgerbeteiligung das Mittel der Wahl, um so etwas wie eine stille Mitte überhaupt noch wahrzunehmen.